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Dienstag, 10. Februar 2015

GOLDENES WOCHENENDE IN VIÑA DEL MAR

Es ist einer dieser Montage, an denen man nach einem erlebnisreichen Wochenende müde, aber glücklich an der Arbeit sitzt (in meinem Fall als fleißige Praktikantin) und sich kaum auf den Bildschirm vor einem konzentrieren kann, so viel anderes schwirrt noch im Kopf: Da ist noch das Wochenende, verbracht an der Pazifikküste, zwei Stunden von Santiago entfernt. Da sind die Stunden im Auto auf der sonnenverglühten Straße gen Meer, Stunden am Restauranttisch, am Strand, im Casino von Viiña del Mar. Da sinddie vertanzten Stunden zu Latino-Musik, der kühle Wind um die Beine, der Geschmack von Pisco - chilenischem Traubenschnaps -, und frischem Fisch. Möwen und Pelikane im Abendrot, Urlaubsstimmung in den Straßen eines Badeortes, wie es ihn auch in Spanien oder Frankreich geben könnte. 



Es ist wunderlich zu denken, dass ich vor gar nicht langer Zeit mutterseelenallein in Chile ankam und nun mit neuen Freunden eine gute Zeit verbringen darf. Dass sich Begegnungen und gemeinsame Wege ergeben, zufällig oder als hätte es nicht anders sein können, jedenfalls ein Glück. Es hilft mir, langsam in diesen Abschnitt hineinzuwachsen. 
Nicht mehr eben erst angekommen und noch lange nicht wieder fort - und mich wohl fühlend bei dem Gedanken. 




 Das Unterwegssein sauge ich in mich auf. Ich erinnere mich daran, wie ich mich an manchem Alltagsmoment im vorigen Jahr nach genau diesem freien Flattern durch Landschaften und Städte, bei Lachen, Musik oder Stille, sei es in der Ferne, in der Heimat oder einfach außerhalb von Paris, gesehnt habe. Ich folge vom Autofenster aus den verschwimmenden Konturen der Anden. Diesem chilenischen Sommer bin ich hinterhergeflogen und nun lasse ich ihn nicht mehr los, bis es hier im April Herbst wird. 


Der Sonnenbrand glüht noch weiter auf meiner Haut und der Rucksack steht noch unausgepackt in der Ecke. Sogleich ist auch der Montag schon wieder vorbei. Und über die Eindrücke von Viña del Mar legt sich allmählich wieder der normale Gang der Woche ...


Dienstag, 3. Februar 2015

SICH VERLIEREN IN VALPARAISO

Nachdem ich vor ein paar Tagen das zirkushafte Treiben am Hafen von Valparaiso beschrieben habe, nehme ich euch nun mit auf die Hügel (cerros), die sich, bedeckt von einem bunten Dächermeer, über die unteren Viertel der Stadt erheben.
Mit knatternden, hundertjahrealten Zahnradbahnen (ascensores) gelangt man dort hinauf. Bevor ich allerdings den richtigen Aufzug gefunden habe, schlage ich prompt einen bald dubios erscheinenden, ansteigenden Weg ein. Ich merke erst gar nicht, dass niemand sonst hier unterwegs ist. Nur Straßenhunde die in stinkenden Bergen Müll wühlen. Die Häuser wirken heruntergekommen. Ich überlege schon kehrt zu machen, als mir ein junger Mann entgegen kommt und mir bedeutet, ich solle besser nicht weiter hinaufsteigen. Es bestehe Gefahr, ausgeraubt zu werden. Er begleitet mich wieder hinunter und zeigt mir den Eingang zum Aufzug, wo einige andere Besucher Schlange stehen. Ich bin ihm dankbar. Es war das erste Mal, dass ich mich in Chile kurz unsicher gefühlt habe. An manchen Orten sollte ich mich tatsächlich an die Pfade halten, die auch von anderen Touristen gegangen werden.

Bei meinem Spaziergang auf den cerros werde ich mit malerischen Ausblicken auf Hafen und Meer belohnt. Ich habe kein Ziel, wandere nur in der Sonne durch die ansteigenden und abfallenden Gassen, tauche meinen Blick in die satten Farben der Fassaden. Alles wirkt ziemlich ruhig und mein Geist ist angenehm schläfrig. Irgendwann finde ich ein nettes Café, wo ich das Wlan nutze, um kaffeetrinkend mit meinem mir fehlenden F zu schreiben. Wann immer ich kann, schicke ich ihm Bilder und Worte um das, was ich hier erlebe. Wie gern würde ich die ganze Erfahrung hier mit ihm teilen.




Am frühen Abend sitze ich irgendwann wieder im Bus gen Santiago. Anderthalb Stunden lang tue ich beinah nichts als mich in Musik aus meinen Kopfhörern zu versinken und die Gedanken ganz weit wandern zu lassen. Ich merke, dass ich mir solche Stunden, die keinen Zweck und Ziel haben, sondern nur Sinnesfluss und Dahintreiben sind, im Alltag in Paris zu selten schenke. Leerlaufzeit. Zeit, in der nichts passiert und doch unbemerkt Gedanken sinken können und andere hochsteigen, die für "Zweckzeiten"zu zaghaft sind. Einfach Songs (wie diesen oder diesen) die in die Berglandschaft da draußen ziehen ...



La tarde esta muriendo
como un hogar humilde que se apaga.

Alla, sobre los montes,
quedan algunas brasas.
[…]
Lloras? ... Entre los alamos de oro,
lejos, la sombra del amor te aguarda. 


Der Abend stirbt dahin
wie ein Herd, der bescheiden verlöscht.

Dort oben über den Bergen,
sind noch einige Gluten zu sehen.
[…]
Weinst du? … Zwischen den Pappeln aus Gold,
in der Ferne, wartet der Schatten der Liebe auf dich.

– Antonio Machado (Campo / Feld)


Und ich denke daran, was hinter mir liegt, was vor mir liegt. Was mich hier in der Ferne berührt, begeistert, beirrt. Was ich lernen und mitnehmen will. Was mir fehlt. Auch daran, wie schnell die Zeit vergeht. Dass deshalb wohl nichts besser ist, als den gegenwärtigen Moment ganz zu erleben und glücklich zu sein. 


Freitag, 30. Januar 2015

JANUARSONNTAG AM HAFEN VON VALPARAISO

Letzten Sonntag setze ich mich morgens in einen Überlandbus, der mich von Santiago in die 120km entfernte Hafenstadt Valparaiso bringt. Endlich einen Blick auf das Leben außerhalb der herausgeputzten chilenischen Hauptstadt werfen!
Valparaiso geht der Ruf voraus, bunt, künstlerisch und wild zu sein. Und dieser Ruf zieht mich an!

Kaum steige ich aus dem Bus, werde ich bereits sinnlich überschwemmt von den Menschen, Geräuschen und Gerüchen in der Straße. Es ist nicht daran zu denken, den Reiseführer aus dem Rucksack zu holen. Vergessen ist der Plan, schnurstracks ins Zentrum (welches genau?!) zu gelangen. Denn schon verführen mich brutzelnde, dampfende Straßenstände mit unbekanntem Essen, schon hat mich ein mit einer Marionette zu Latino-Musik tanzender Künstler in seinen Bann gezogen. Ein buntes Treiben, worin man sich nur treiben lassen kann. Ich setze mich feurigem Mund (was war das eben für eine Soße?!) und fettigen Händen auf eine Bank. Gesang dringt aus einer offenen Kirchentür. Es ist schließlich Sonntag Vormittag. Ich möchte nur eben mal einen neugierigen Blick in die Messe werfen, da werde ich schon herzlichst von einem Mann am Eingang begrüßt, in die Kirche gewunken und, ehe ich mich versah, geradewegs zu einem Sitzplatz zwischen singenden und betenden Menschen gelotst. Mir ist warm, der Mund brennt, die Musik betört, ich will nicht auffallen und versuche, wenigestens die Texte der geistlichen Lieder, die per Beamer an die Wand projiziert werden, mitzuverfolgen. Die singende Masse um mich herum ist bewegend. Die Luft kommt mir vor wie geladen von Emotion.
Irgendwann stehle ich mich unauffällig wieder hinaus und trinke draußen als erstes japsend eine Wasserflasche aus. Dank eines freundlichen Passanten (Haltestellen geschweige denn Fahrtzeiten sucht man vergeblich) finde ich mich kurz darauf in einem quietschenden, kleinen Bus wieder, der mich an den Hafen Valparaisos bringt.


Hier tummeln sich Besucher, Musikanten und Verkäufer in einem farbenfrohen Tohuwabohu - im Hintergrund das pazifische Meer und anliegende Schiffe. Valparaisos Hafen war im 19.Jahrhundert der bedeutendste Handelshafen im Pazifikraum. Heute weht hier der melancholische Wind verblühter Schönheit.



Zwischen all dem, was ich sehe, während ich mich auf eine Stufe am Kai setze und Melonenstücke aus einem Plastikbecher fische, suche ich mir Bilder, die ich festhalten möchte ...
Wenn ich sie mir nun anschaue, kommen sie mir vor wie in einem Zirkus geschossen. Wohingegen man sich, so mittendrin, unbemerkt mit hinein in diese wunderliche Welt hineinschaukelt ...



 Und im nächsten Post erzähle ich den zweiten Teil der Geschichte ...

Dienstag, 27. Januar 2015

VOM ANKOMMEN UND EINFINDEN... UND BILDER AUS SANTIAGOS VIERTEL BELLAVISTA

Es war so schön, eure Kommentare auf meinen Wieder-Auftauch-Post zu lesen! Dass einige unbekannterweise an mich dachten, während ich hier abwesend war, erinnert mich daran, dass dieser Blog auch eine Geschichte ist. Ich darf sie hier leise erzählen ...



Tage sind vergangen in Santiago de Chile. Welch Wirbelsturm der Gefühle, allein im fremden Land anzukommen! Die Lust zu entdecken, zu schmecken, der Sprache zu lauschen und gleichzeitig das Bedürfnis, mich an Vertrautem festzuhalten. Die Gewöhnung an mein Zimmer, an die Metro, die Wege, das Essen. Die erste Woche Praktikum und der damit verbundenen inneren Aufregung und dann wachsenden Gelassenheit (Werde ich mich dahineinarbeiten können? Bin ich gut genug?? Ja, bin ich!). Die vielen neuen Bekanntschaften auf einmal. Anderer Menschen Lebenswege, über die ich dann auf dem Nachhauseweg noch nachdenke. Noch immer der tägliche Eindruck der warmen Sonne (ist jetzt wirklich Sommer?!) und des staubigen Lärms der Großstadt (mir scheint unsere Straße in Paris so ruhig dagegen!). Und all das durchzogen und durchwärmt von meinen Gedanken an Zuhause ... Der Blickwinkel auf mein Leben, das ich sonst führe, erweitert sich. Vorübergehend bin ich gänzlich "weg" aus jenem Leben, welches mir nun schön, irgendwie zart vorkommt, in all seiner Banalität. Die Wege nach dem Studium kommen mir einladender vor. Es ist doch alles möglich! Was ich mir selbst für mich vorstelle, ist vielleicht schon am Werden. Ich kann mich plötzlich ein wenig aus der Vogelperspektive sehen.




Y las casas que esconden los deseos
detras de las ventanas luminosas,
mientras afuera el viento
lleva un poco de barro a cada rosa

Und die Häuser, die die Begierden verbergen
hinter den erleuchteten Fenstern,
während draußen der Wind
auf jede Rose ein bisschen Staub legt. 

Pablo Neruda (Barrio sin luz / Lichtloses Viertel)


Am Wochenende wanderte ich ziellos durch das farbenfrohe Viertel Bellavista im Zentrum von Santiago. Wo es mir gefiel, blieb ich stehen. Sobald ich fotografiere, ziehe ich Blicke auf mich (lassen kann ich es aber auch nicht). Überhaupt schlendern nicht viele junge Frauen allein durch die Straßen. Aber man fühlt sich sicher und die Blicke sind freundlich.







Ich besichtige das kuriose Haus, welches Chiles großer Dichter Pablo Neruda für seine heimliche Geliebte hat bauen lassen. Später mache ich Rast im Café. Auch das Essen, an kleinen, improvisierten Straßenständen feilgeboten, probiere ich nach und nach (und noch hat mein Magen nicht protestiert), seit ich hier angekommen bin. Ich freue mich auf all die kommenden Wochenenden, die ich nutzen möchte, um in die Umgebung zu fahren und mich in der Natur und Städten Chiles wiederzufinden. 




Vielleicht fragt ihr euch dies und das beim Lesen meiner Eindrücke ... schreibt es mir gern hierunter! 



Sonntag, 18. Januar 2015

SCHLAFLOS IN ... SANTIAGO DE CHILE!

So lange habe ich nicht mehr gebloggt. Seit Anfang November, als meine Masterarbeit abgegeben und ich innerlich einen Abschnitt für mich beendet hatte. Ich habe die Wochen vor Jahresende 2014 zwischen meiner vorpommerschen Heimat und Paris verbracht, mich zeitweise zurückgezogen, gelesen, geschrieben ... und einen großen Reiseplan vorbereitet: Die ersten drei Monate des neuen Jahres wollte ich in Chile verbringen! Einen Praktikumsplatz in Santiago sicher, eine Förderung gefunden, mein Spanisch täglich geübt - Und doch kam es mir bis zuletzt so unwirklich vor! So ist es immer noch.
Santiago de Chile und Anden



Aus dem Pariser Winter mitten in den südamerikanischen Sommer. Aus meiner bekannten Welt, dem Viertel, der Straße, der Wohnung, der Zweisamkeit mit F, den vertrauten Rhythmen und eingespielten Wochen hinaus - und hinein ins Unbekannte.

Eigentlich bin ich es nach einer unstetigen Studienzeit gewöhnt, in fremden Städten, wo ich keine Seele kenne, neu zu beginnen. Immer ist es erst verwirrend, unsicher, fremd, dann unmerklich immer normaler, gewohnter und bald einer Teil der eigenen Welt. Diesmal ist die Umstellung anders: Ich tauche ein in eine andere Zeitzone, wechsel die Jahreszeit, die Erdhälfte. Ich weiß so wenig über die Menschen hier und taste mich erst einmal vor, beobachte, spitze die Ohren, möchte erkennen, wie man sich gibt, sich grüßt, einander ansieht ... Gleichzeitig mich in meine Unterkunft bei einer chilenischen Familie einleben, das innere Gleichgewicht langsam wieder einpendeln, indem ich bestimmte Tagesrituale hier weiterführe und ich mich daran erinnere, dass ich ja dieselbe bin, die noch vor ein paar Tagen zu Hause die Wäsche aufhing und die Orchideen goss.  




Drei Tage sind seit meiner Ankunft vergangen. Ich habe mir viel von Santiago anschauen können. Alle möglichen Gefühle lösen sich in mir ab: Kann es wirklich wahr sein, dass ich gerade durch die Hauptstadt Chiles wandere?! Ich fühle mich so fremd/ so gar nicht fremd/ so schrecklich allein/ so herrlich allein/ so begeistert/ überreizt/ entspannt/ so gespannt auf die Zeit! Ich möchte alles auf einmal sehen und lernen!/ Ich möchte alles ganz in Ruhe eins nach dem anderen angehen ...


Musik und spontaner Tanz am zentralen Plaza de las Armas


Die Straße, in der ich während des Aufenthalts wohne

Hauptstraße Alameda- ein Akt, zu überqueren!


Die ersten Eindrücke sind die stärksten. Hier sind es: die Wärme, der Wind, der Lärm, der Smog, die atemlos schnelle Sprache, die ausnahmslose Freundlichkeit, das ineinandergeflochtene Europäische und Südamerikanische in allem.

Graffiti am Fluss Rio Mapocho

In Santiagos topmoderner Metro




Siento que el barco mio
ha tropezado, alla en el fondo,
con algo grande. 
Y nada
sucede! Nada ... Quietud ... Olas ...

- Nada sucede; o es que ha sucedido todo,
y estamos ya, tranquilos, en lo nuevo? -

(Ich spüre dass mein Boot, dort auf dem Grund, 
auf etwas Großes 
gestoßen ist.
Und nichts
geschieht! Nichts ... Stille ... Wellen ...

Nichts geschieht; oder: ist alles geschehen
und befinden wir uns, unbemerkt, schon im Neuen?)

(Juan Ramon Jiménez)



 So entsende ich auch von hier lyrische Grüße in die Welt ... Ich hoffe, dass meine Paris-liebenden Leser in der kommenden Zeit auch an Santiago und Umgebung Gefallen finden!

Blick aus dem Fenster gegen 21h





Samstag, 1. November 2014

ABENDBALLADE UND EIN BISSCHEN CLAUDE MONET


Ein paar Tage vergingen noch mit Besorgungen und Notwendigkeiten und dem Bestehen einer kleinen Herausforderung, die mich der Verwirklichung eines Herzensprojektes ein Stückchen näher bringt. 

Da ist sie nun, die Zeit nach dem Studium, das Zwischendasein, die Erleichterung und das Plänetüfteln.

Zeit für lange Runden allein durch die Viertel und für ein bisschen künstlerisches Flanieren. Da war diese schöne Impressionisten-Ausstellung im Musée du Luxembourg: Gemälde, in die der Blick eintaucht, wo er Farben und Stimmungen fischt, um sie zurück mitten in den eigenen Gemütsspeicher zu betten. Irgendwie hat mich besonders Monet gefesselt, obwohl man ihn doch schon hier und da zu genüge gesehen hat. Es waren gerade nicht die Seerosen noch die Kathedrale von Rouen, die ausgestellt waren.

C. Monet: Méditation (Madame Monet au canapé)
C. Monet: Le jardin de l'artiste

C. Monet: Liseuse


Der Abend fällt nun früh über die Stadt, oft in einem warmen rötlichen Farbenspiel, das alles Unruhige merkwürdig beruhigt. Es ist die Tage noch so mild, dass man ohne Jacke auf einer Caféterrasse sitzen kann. Herbst ist bestimmt meine liebste Zeit in Paris.


C. Monet: Effet d'automne à Argenteuil









[... und mir kommen ein paar Zeilen aus E.E. Cummings Paris-Gedichten in den Sinn, die man nicht verstehen muss, und dann doch etwas versteht vom Wind der vor 100 Jahren in der Stadt wehte. Ich glaube, ich bin gerade etwas besessen von Texten, die irgendwann in irgendeiner Pariser Dachkammer geschrieben worden sind]


« Ici ? » – « Ah non, mon chéri ; il fait trop froid » –
they are gone : along these gardens moves a wind bringing 
rain and leaves, filling the air with fear
and sweetness ... pauses. (Halfwhispering ...halfsinging
stirs the always smiling cheveaux de bois)