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Dienstag, 27. Mai 2014

VON DER MUßE


"Kunst erscheint mir als das Bestreben eines Einzelnen, über das Enge und Dunkle hin, eine Verständigung zu finden mit allen Dingen, mit den kleinsten, wie mit den größten, und in solchen beständigen Zwiegesprächen näher zu kommen zu den letzten leisen Quellen alles Lebens. Die Geheimnisse der Dinge verschmelzen in seinem Innern mit seinen eigenen tiefsten Empfindungen und werden ihm, so als ob es eigene Sehnsüchte wären, laut. Die reiche Sprache dieser intimen Geständnisse ist die Schönheit." 

 R. M. Rilke, Vorlesung in Prag 1898

Manchmal werden die Tage eng. Pläne und Aufgaben, langfristige, kurzfristige, überschneiden sich, blähen sich auf. Die Zeit wird widerspenstig, windet sich in den Rastern, mit denen man den Tag organisiert. Vergeht zu schnell. Ich konnte nicht alles unterbringen. Ich passe manchmal selber nicht in die Zeitpläne, die ich mir stecke. Bin verunsichert: Habe ich nun genug geschafft? Sollte ich besser mehr hiervon tun und weniger davon? Was ist wichtiger, für wen, wofür? 

So kreisen die Gedanken im Morgengrauen, wenn man schlaflos ist. Vielleicht fehlt mir gerade diese unbeschwerte Muße, die Rilke beschreibt. Kunst, die aus der Enge ins Weite, ins Sinngebende führt. Aber es ist nicht leicht, sich Raum für das Schöngeistige zu nehmen. Gerade im Studium (und sicherlich ebenso in vielen freien bzw. künstlerischen Berufen) sind Zeiten für Arbeit und Zeiten für Persönliches nicht abgesteckt. Man lässt die Aufgaben nicht in einem Büro zurück. Sie sind als latentes Pflichtgefühl immer präsent. Für eine Mußezeit muss man sich abschotten, um sie überhaupt genießen zu können.
 
Dabei brauche ich dieses Zwiegespräch mit den Dingen so sehr. Mich in Worte fallen lassen. Wortgewebe erschaffen. Bilder kontemplieren, mich inspirieren. Flanieren, leichten Schrittes. Gespräche. Filme. Und dann nur das und nichts "schnell noch nebenbei". Muße ist keine verlorene Zeit. Am Ende dieser Woche möchte ich mich mit ihr belohnen. Und wieder kreative Kräfte und Elan aus ihr schöpfen, für die nächsten Schritte. 

Freitag, 23. Mai 2014

VON HIMMELN & DÄCHERN - PARIS 16EME


Mehrmals in der Woche nehme ich die Metro 6, um mich zu meinen kleinen Job im 16. Arrondissement zu begeben. Eigentlich ist Metrofahren (im Gegensatz zum Bus) für mich kein besonderes Vergnügen: Eher bin ich nach einer Fahrt erleichtert, Menschenmengen, laute Fahrtgeräusche, merkwürdige Gerüche und zuweilen auch zwielichte Gestalten im muffigen, zugigen Untergrund zurückzulassen. Die Linie 6 allerdings hat die Besonderheit, streckenweise überirdisch zu fahren und das macht vieles wett. Ratternd und oft sonnendurchflutet überquert sie die Seine und bietet einen spektakulären Blick auf den Eiffelturm. Vom linken Seine-Ufer (Rive gauche) geht es hinüber zur Rive droite. Das 16. Arrondissement ist wenig touristisch, sehr wohlhabend und fein. Auf den Caféterrassen sitzen ältere Damen mit Schoßhund, während sich ein Strom von Schülern, Kinderwagen und Babysittern über die Gehwege zieht. Selber auch den Kinderwagen vor mich herschiebend versuche ich mir einen Weg zu bahnen, ohne dauernd in ein Paar fein polierte Lederhacken vor mir zu stoßen. Ich hole "meine" zwei kleinen Jungs von der Schule (die "école" beginnt in Frankreich ab 3 Jahren) ab und lotse sie, meist nicht ohne einen Abstecher in Bäckerei oder Bonbonladen gemacht zu haben, nach Hause.

Auch das vergangene Wochenende habe ich weitestgehend mit den Kleinen verbracht, die Eltern waren auf Reisen. Von dort oben in der 7.Etage hat man herrliche Aussichten auf den Boulevard und die gegenüberliegenden Häuserfassaden. Und endlich hatte ich meine Kamera mal mit dabei.

 Warum bin ich eigentlich so fasziniert von Fenstern, den Lichtern und Bewegungen oder der Stille dahinter? Ein Fenster ist wie ein geschlossener Buchdeckel, auf dem ein verheißungsvoller Titel steht. Es ist das Leben anderer. Alltagsgesten, die im Blick eines Dritten etwas von Prosa haben. Ich mache mir eine Fiktion daraus, die mich inspiriert. Fenster sind Ausschnitte. Das Banale weggeschnitten, das Poetische auf die Fensterscheibe geschrieben.

Fiktives Leben brauche ich zum Tagträumen, buchstäblich zum Ausmalen. Leben, das ich noch leben werde. Leben, das ich nicht mehr leben werde. Leben, das ich ausgeschlossen habe durch meinen jetztigen Weg. Und Leben, das ich mir irgendwann einmal vorgestellt und erträumt habe und nun wirklich lebe.


Aber zurück zu Ort und Stelle. Die Stunden mit den Kleinen vergehen schnell. Ich übe mich gerne in dieser Rolle: mich kümmern, zuhören, mahnen, erklären, ermutigen, verantworten, trösten.

Diese Monate Alltag zwischen Masterarbeit und Nebenjobs, die Zeit, die ich mit F. habe, und das alles in dieser unglaublichen Stadt, möchte ich genießen.
Wer weiß, wie es danach wird, mit jenem ominösen Ernst des Lebens ... ?






Abends nimmt das Licht nur in Zeitlupe ab. Die kurzen Nächte sind da.
Die Kleinen werden nicht müde und ich kann es ihnen nicht verdenken. Also nochmal die Verkleide-Kiste auf oder ein Ausnahmsweise-Eis aus der Tiefkühltruhe.

Und ganz allmählich wird der Himmel satt von Abendrot und man lässt den Tag begnügt gehen ... 

Mittwoch, 21. Mai 2014

MAI-REGEN

Regen prasselt in langen Fäden auf das Pariser Dächermeer hinunter. Ich bin gerade noch rechtzeitig nach Hause gekommen, bevor der Guss beginnt. In den letzten Tagen hat es das oft gegeben, diese Schauer und ein paar Donnertöne gegen Nachmittag. Ich schiebe mir unseren Allround-Tisch (der tagsüber als mein Arbeits-und Vergnügungsplatz und abends als Esstisch fungiert) bis ans Fenster zum Licht. Das Tippen der Tastatur und das Rasseln des Regens vermischen sich.

Früher Nachmittag geht zu spätem Nachmittag über, Teetassen werden ausgetauscht, Dinge aufgeräumt, Radio an- und wieder ausgemacht. Es regnet und das gibt mir diese herrliche Rechtfertigung, drinnen zu sein, eigenzubrödeln, auch wenn draußen in der Großstadt tausend Dinge ohne mich geschehen. Das kann warten. Ich sammel meine Spiegelbilder später in den Pfützen wieder auf ...




Sonntag, 18. Mai 2014

PARIS MONTPARNASSE ... & ALLTAGSWOCHEN

Ich muss zur Post, zur Bank, zur Bibliothek. Ich muss ein Paket abholen, ein Bahnticket kaufen, etwas im Geschäft umtauschen. Jede Gelegenheit ist mir in den Alltagswochen recht, durch die Straßen von Paris zu laufen und mich unter die Menschen zu mischen.

Am Boulevard Montparnasse, der sich an der Grenze vom 6. und 14. Arrondissement entlangschlängelt, geht es geschäftig zu und ich mag es, mich ebenso geschäftig dazu zu gesellen. Immer gibt es auch in den mir vertrauten Vierteln noch tausend Dinge zu entdecken. Ich versuche also, die Perspektive zu schärfen. Es reicht oft schon, den Blick zu heben und die Fassaden hochzuschauen zu Balkonen und Erkern. Die Menükarte vor dem Restaurant zu überfliegen oder in das Schaufenster mit den quadratischen Fliesen in allen Farbnuancen zu blicken. Zigmal daran vorbei gegangen und selten richtig wahrgenommen.
Sodenn hier wieder einmal ein paar Bilder, die ich im Vorbeigehen mitnehmen konnte. Ich gebe zu: sie sehen nach gemütlichem Flanieren aus, dabei bin ich so oft auch nur schnellschnell und gedankenverloren unterwegs. Manches fällt mir sogar erst auf, wenn ich mir später die Bilder anschaue ...







Die Tage der Alltagswochen ziehen nur so vorbei, aber ich weiß mich präsent. Dass ich im Moment weder auf etwas warte, noch wünsche, dass etwas anders oder besser oder leichter wird, gibt mir das Gefühl, mit der Zeit zu schwimmen und nicht gegen sie.


Oft brüte ich den ersten Teil des Tages zu Hause über den Lektüren zu meiner Masterarbeit, bevor ich dann nachmittags zwei energiegeladene kleine Jungs betreue und mit Hausaufgaben, Autorennen und Keksverteilung beschäftigt bin. Beides, geistiges Arbeiten und die turbulente Zeit mit den Kleinen, ergänzt sich gut und gleicht einander aus.

(Dr)außen und (dr)innen | still und kommunikativ | denkend und machend – Pole, deren Mitte zu finden für mich die Kunst im Alltag ist.

Und morgen beginnt die Woche neu.
Verbringt sie gut! 

Donnerstag, 15. Mai 2014

WENN DIE BLICKE NOCH TAUMELN

der Morgen tapst
in den Pantoffeln
tänzelnd im Gold
tastet er sich in die Laken

wenn die Blicke 
noch taumeln
und der Tag von 
Leichtem träumt

atme ich auf
Stelzen über die
Stille hinweg

© Lyra




Besprenkelt von Licht aufwachen, sich kaum regen, langsam räkeln, lauschen: der Morgen raschelt. Es beginnt, im Kopf zu wispern. Der Tag ist noch ganz leise, noch ganz leicht.
Er wärmt sich in den Goldflecken dort an der Zimmerwand.
In den Mustern aus Licht flimmert es.
Was war gestern? Ist nicht mehr dran zu denken.
Der Morgen ist schwerelos und still.

Guten Morgen...

Montag, 12. Mai 2014

KLEINE DINGE FÜR DIE SINNE 4

Ich möchte von den Dingen die ich sehe
wie von dem Blitz
gespalten werden
Ich will nicht dass sie vorüberziehen
farblos bunte
sie schwimmen auf meiner Netzhaut
sie treiben vorbei
in die dunkle Stelle
am Ende der Erinnerung

(Hilde Domin: "Wunsch")
 
Das Wochenende zwischen Regen und Sonne. Von einer Minute zur nächsten wird es dunkel im Zimmer, es regnet in geraden Linien auf Paris hinunter. Einige Minuten später wird es wieder hell. Ich habe viel zu lesen, viel Stoff durchzuwälzen. Masterarbeit. Ich steige wie auf Treppen hinab, immer tiefer in die Materie. Neue Räume öffnen sich. Alles weite Felder. Und es reizt mich, das alles zu erfahren. Selbst für das kleine Druckgefühl durch Zeitvorgabe und eigene Erwartungen bin ich dankbar, denn es macht mir Beine. Ich mache Sprünge.

Das ist das eine. Das andere ist, immer wieder mal aufzuschauen vom Tagewerk. Die Augen aufzumachen, die Dinge zu betrachten, zu denken: Ich will nicht dass sie vorüberziehen. Ich will die Stunden bremsen, wenn sie als Herde plötzlich schneller über den Berg ziehen und den Tag unter ihnen kleinmachen. Schon wieder Abend. Deswegen halte ich, so oft ich kann, fest, was sich zwischen wechselndem Licht, ziehenden Stunden, Gemütszuständen und Wortwechseln an guten Dingen aufsammeln lässt...

Oben: Einen kleinen Stapel Lesestoff habe ich aus Deutschland mitgebracht. Ich weiß wie immer nicht, wo hinein ich mich als erstes vertiefen soll. Da ist dieses Büchlein über die Kürze des Lebens, über Zeitverschwendung und das Ideal der Seelenruhe. Ich freue mich auch auf diese Pariser Spaziergänge und hoffe dabei neue Ecken zu entdecken und Anekdoten zu erfahren. Zwischendurch geht immer ein wenig Lyrik... zum Beispiel dieses Bändchen mit erwünschtem Fernweh-Nebeneffekt.

Unten: Beste Zeit, Frühstückszeit | Blicke aus der Nachbarswohnung auf die andere Hälfte von Paris: Fenster & Menschen darinnen (ich liebe es, zu erahnen, wie sie gerade kochen oder telefonieren). Eiffelturm, Wächter über die Stadt, bei grauem Wetter sehr grau.
Rue Vavin, diese Straße sieht mich täglich. Und täglich gehe ich an dieser Explosion an Blumen und Düften vorbei, die eine Floristin vor ihrer Boutique ausstellt. Es ist das einzige Geschäft, das in der Straße auch noch bis abends um 9 geöffnet ist. Schließlich kommt es nicht selten vor, dass ein Monsieur seiner Dame zum Diner zur späten Stunde noch einen Strauß besorgen muss.

Das ist ein Fest für alle Sinne. Oft sehe ich die junge Inhaberin auf dem Gehweg hier und da ein paar Töpfe arrangieren oder die zerbrechlichen Blüten bei Regen mit Folie überdecken. Dann verschwindet sie wieder in ihrem dunklen, kleinen, tropisch duftenden Geschäft hinter einer Theke. Eine schönere Leidenschaft könnte sie nicht haben.

Mit diesen Bildern im Sinn gehe ich in eine neue Woche. Ich will in vielem vorankommen, habe gleichzeitig Ideen zu Unternehmungen in Paris im Kopf und hoffe, einiges davon in nächster Zeit zusammengeflochten zu bekommen...

Eine gute Woche euch allen!


Freitag, 9. Mai 2014

RÜCKBLICKEND... OSTSEE, WEITEN UND BERLIN

Zwar schon wieder ganz eingehüllt in Pariser Flair denke ich noch an die vergangene Woche in Deutschland zurück. Kurz war sie, aber so voll von Wiedersehen, Gesprächen, Lachen, Spaziergängen & Fahrten.

Bei schneidendem Küstenwind mit den Herzensgeschwistern am Bodden spaziert || durch windrädrige Abendlandschaften gefahren und versucht, durch die Scheiben zu fotografieren.

Ein Wochenende in der Altmark: Familie & Friedlichkeit der Seelandschaft | Stille Bilder, die die Sinne besänftigen. (ich zehre noch davon).

Berlin. Die paar Stunden vor dem Abflug für einen Streifzug genutzt. Gelernt und gestaunt in der Ai Weiwei-Austellung im Gropius-Bau | Fassaden, Ecken, Straßen gestreift und überall auf die jungen und alten Spuren der Geschichte gestoßen | Zeitmaß: Der Mauerfall ist nur so jung wie ich.

In Paris ist es diese Tage wechselhaft zwischen Regen und Sonnenschein. Das Wochenende steht bevor, die Aussichten sind gut. Und ich sammle schon wieder Bilder & Dinge in Stadt und Wohnung auf, die euch in den nächsten Posts erwarten ...


Dienstag, 6. Mai 2014

ZURÜCK IN PARIS

Wieder in Paris. Kaum eine kleine Woche habe ich in der Heimat verbracht, und doch bin ich ganz voll von Bildern und Erinnerungen an die Tage. Bei jeder Heimkehr möchte ich alles mitmachen und nachholen, alle Lieben sehen und besuchen, nichts verpassen in der kurzen Zeit. Bin in sechs Tagen an vier verschiedenen Orten und nehme mir überall mein Stück Heimat für die Ferne mit.

Es scheint mir, als würde es hier von Jahr zu Jahr ruhiger und kleiner. Und als würde ich auch immer leichter zurückkommen und wieder gehen können.

Es mag sein, dass mein rückgewandtes Bedürfnis, das Vergangene wieder und wieder zu rekonstruieren, langsam einer wachsenden Gelassenheit weicht. Ich suche nicht mehr die Teile zum Ganzen zusammenzufügen: Jenes alte zu Hause ist keine klassische Idylle. Wir haben in diesem Haus gelebt, das Haus hat uns verändert, wir kommen dort nicht mehr alle zusammen. Aber trotz Brüchen und Veränderungen steckt dort unsere Identität: in Spiegeln, Fenstern und Bücherregalen, auf dem Dachboden, im Garten. Hier bin ich wieder Kind, kleine Schwester, große Schwester.

Es fällt mir immer leichter, gegenwärtig und nicht nur erinnernd zu sein, wenn ich dort bin. Ich habe eigene Flügel bekommen, die mich gut tragen. Auch in Paris habe ich mir festen Boden unter den Füßen gelegt. Das tut mir gut, hat mich stärker gemacht.

Aber genug des Reflektierens. Erst einmal wieder richtig ankommen. Beginnen, die im Kopf fliegenden und fotografisch festgehaltenen Eindrücke zu ordnen. Und mich dann wieder langsam in den Alltag schleichen ...