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Dienstag, 27. Januar 2015

VOM ANKOMMEN UND EINFINDEN... UND BILDER AUS SANTIAGOS VIERTEL BELLAVISTA

Es war so schön, eure Kommentare auf meinen Wieder-Auftauch-Post zu lesen! Dass einige unbekannterweise an mich dachten, während ich hier abwesend war, erinnert mich daran, dass dieser Blog auch eine Geschichte ist. Ich darf sie hier leise erzählen ...



Tage sind vergangen in Santiago de Chile. Welch Wirbelsturm der Gefühle, allein im fremden Land anzukommen! Die Lust zu entdecken, zu schmecken, der Sprache zu lauschen und gleichzeitig das Bedürfnis, mich an Vertrautem festzuhalten. Die Gewöhnung an mein Zimmer, an die Metro, die Wege, das Essen. Die erste Woche Praktikum und der damit verbundenen inneren Aufregung und dann wachsenden Gelassenheit (Werde ich mich dahineinarbeiten können? Bin ich gut genug?? Ja, bin ich!). Die vielen neuen Bekanntschaften auf einmal. Anderer Menschen Lebenswege, über die ich dann auf dem Nachhauseweg noch nachdenke. Noch immer der tägliche Eindruck der warmen Sonne (ist jetzt wirklich Sommer?!) und des staubigen Lärms der Großstadt (mir scheint unsere Straße in Paris so ruhig dagegen!). Und all das durchzogen und durchwärmt von meinen Gedanken an Zuhause ... Der Blickwinkel auf mein Leben, das ich sonst führe, erweitert sich. Vorübergehend bin ich gänzlich "weg" aus jenem Leben, welches mir nun schön, irgendwie zart vorkommt, in all seiner Banalität. Die Wege nach dem Studium kommen mir einladender vor. Es ist doch alles möglich! Was ich mir selbst für mich vorstelle, ist vielleicht schon am Werden. Ich kann mich plötzlich ein wenig aus der Vogelperspektive sehen.




Y las casas que esconden los deseos
detras de las ventanas luminosas,
mientras afuera el viento
lleva un poco de barro a cada rosa

Und die Häuser, die die Begierden verbergen
hinter den erleuchteten Fenstern,
während draußen der Wind
auf jede Rose ein bisschen Staub legt. 

Pablo Neruda (Barrio sin luz / Lichtloses Viertel)


Am Wochenende wanderte ich ziellos durch das farbenfrohe Viertel Bellavista im Zentrum von Santiago. Wo es mir gefiel, blieb ich stehen. Sobald ich fotografiere, ziehe ich Blicke auf mich (lassen kann ich es aber auch nicht). Überhaupt schlendern nicht viele junge Frauen allein durch die Straßen. Aber man fühlt sich sicher und die Blicke sind freundlich.







Ich besichtige das kuriose Haus, welches Chiles großer Dichter Pablo Neruda für seine heimliche Geliebte hat bauen lassen. Später mache ich Rast im Café. Auch das Essen, an kleinen, improvisierten Straßenständen feilgeboten, probiere ich nach und nach (und noch hat mein Magen nicht protestiert), seit ich hier angekommen bin. Ich freue mich auf all die kommenden Wochenenden, die ich nutzen möchte, um in die Umgebung zu fahren und mich in der Natur und Städten Chiles wiederzufinden. 




Vielleicht fragt ihr euch dies und das beim Lesen meiner Eindrücke ... schreibt es mir gern hierunter! 



Sonntag, 18. Januar 2015

SCHLAFLOS IN ... SANTIAGO DE CHILE!

So lange habe ich nicht mehr gebloggt. Seit Anfang November, als meine Masterarbeit abgegeben und ich innerlich einen Abschnitt für mich beendet hatte. Ich habe die Wochen vor Jahresende 2014 zwischen meiner vorpommerschen Heimat und Paris verbracht, mich zeitweise zurückgezogen, gelesen, geschrieben ... und einen großen Reiseplan vorbereitet: Die ersten drei Monate des neuen Jahres wollte ich in Chile verbringen! Einen Praktikumsplatz in Santiago sicher, eine Förderung gefunden, mein Spanisch täglich geübt - Und doch kam es mir bis zuletzt so unwirklich vor! So ist es immer noch.
Santiago de Chile und Anden



Aus dem Pariser Winter mitten in den südamerikanischen Sommer. Aus meiner bekannten Welt, dem Viertel, der Straße, der Wohnung, der Zweisamkeit mit F, den vertrauten Rhythmen und eingespielten Wochen hinaus - und hinein ins Unbekannte.

Eigentlich bin ich es nach einer unstetigen Studienzeit gewöhnt, in fremden Städten, wo ich keine Seele kenne, neu zu beginnen. Immer ist es erst verwirrend, unsicher, fremd, dann unmerklich immer normaler, gewohnter und bald einer Teil der eigenen Welt. Diesmal ist die Umstellung anders: Ich tauche ein in eine andere Zeitzone, wechsel die Jahreszeit, die Erdhälfte. Ich weiß so wenig über die Menschen hier und taste mich erst einmal vor, beobachte, spitze die Ohren, möchte erkennen, wie man sich gibt, sich grüßt, einander ansieht ... Gleichzeitig mich in meine Unterkunft bei einer chilenischen Familie einleben, das innere Gleichgewicht langsam wieder einpendeln, indem ich bestimmte Tagesrituale hier weiterführe und ich mich daran erinnere, dass ich ja dieselbe bin, die noch vor ein paar Tagen zu Hause die Wäsche aufhing und die Orchideen goss.  




Drei Tage sind seit meiner Ankunft vergangen. Ich habe mir viel von Santiago anschauen können. Alle möglichen Gefühle lösen sich in mir ab: Kann es wirklich wahr sein, dass ich gerade durch die Hauptstadt Chiles wandere?! Ich fühle mich so fremd/ so gar nicht fremd/ so schrecklich allein/ so herrlich allein/ so begeistert/ überreizt/ entspannt/ so gespannt auf die Zeit! Ich möchte alles auf einmal sehen und lernen!/ Ich möchte alles ganz in Ruhe eins nach dem anderen angehen ...


Musik und spontaner Tanz am zentralen Plaza de las Armas


Die Straße, in der ich während des Aufenthalts wohne

Hauptstraße Alameda- ein Akt, zu überqueren!


Die ersten Eindrücke sind die stärksten. Hier sind es: die Wärme, der Wind, der Lärm, der Smog, die atemlos schnelle Sprache, die ausnahmslose Freundlichkeit, das ineinandergeflochtene Europäische und Südamerikanische in allem.

Graffiti am Fluss Rio Mapocho

In Santiagos topmoderner Metro




Siento que el barco mio
ha tropezado, alla en el fondo,
con algo grande. 
Y nada
sucede! Nada ... Quietud ... Olas ...

- Nada sucede; o es que ha sucedido todo,
y estamos ya, tranquilos, en lo nuevo? -

(Ich spüre dass mein Boot, dort auf dem Grund, 
auf etwas Großes 
gestoßen ist.
Und nichts
geschieht! Nichts ... Stille ... Wellen ...

Nichts geschieht; oder: ist alles geschehen
und befinden wir uns, unbemerkt, schon im Neuen?)

(Juan Ramon Jiménez)



 So entsende ich auch von hier lyrische Grüße in die Welt ... Ich hoffe, dass meine Paris-liebenden Leser in der kommenden Zeit auch an Santiago und Umgebung Gefallen finden!

Blick aus dem Fenster gegen 21h





Samstag, 1. November 2014

ABENDBALLADE UND EIN BISSCHEN CLAUDE MONET


Ein paar Tage vergingen noch mit Besorgungen und Notwendigkeiten und dem Bestehen einer kleinen Herausforderung, die mich der Verwirklichung eines Herzensprojektes ein Stückchen näher bringt. 

Da ist sie nun, die Zeit nach dem Studium, das Zwischendasein, die Erleichterung und das Plänetüfteln.

Zeit für lange Runden allein durch die Viertel und für ein bisschen künstlerisches Flanieren. Da war diese schöne Impressionisten-Ausstellung im Musée du Luxembourg: Gemälde, in die der Blick eintaucht, wo er Farben und Stimmungen fischt, um sie zurück mitten in den eigenen Gemütsspeicher zu betten. Irgendwie hat mich besonders Monet gefesselt, obwohl man ihn doch schon hier und da zu genüge gesehen hat. Es waren gerade nicht die Seerosen noch die Kathedrale von Rouen, die ausgestellt waren.

C. Monet: Méditation (Madame Monet au canapé)
C. Monet: Le jardin de l'artiste

C. Monet: Liseuse


Der Abend fällt nun früh über die Stadt, oft in einem warmen rötlichen Farbenspiel, das alles Unruhige merkwürdig beruhigt. Es ist die Tage noch so mild, dass man ohne Jacke auf einer Caféterrasse sitzen kann. Herbst ist bestimmt meine liebste Zeit in Paris.


C. Monet: Effet d'automne à Argenteuil









[... und mir kommen ein paar Zeilen aus E.E. Cummings Paris-Gedichten in den Sinn, die man nicht verstehen muss, und dann doch etwas versteht vom Wind der vor 100 Jahren in der Stadt wehte. Ich glaube, ich bin gerade etwas besessen von Texten, die irgendwann in irgendeiner Pariser Dachkammer geschrieben worden sind]


« Ici ? » – « Ah non, mon chéri ; il fait trop froid » –
they are gone : along these gardens moves a wind bringing 
rain and leaves, filling the air with fear
and sweetness ... pauses. (Halfwhispering ...halfsinging
stirs the always smiling cheveaux de bois)




Montag, 27. Oktober 2014

ALTE ZEIT & NEUE ZEIT


Nun! Der Wind dreht sich, Jahreszeiten wechseln einander ab, die Uhr wird zurückgestellt. Unsere brasilianischen Nachbarn gehen nach einem Pariser Jahr zurück in ihr Land. F. tritt eine neue Arbeit an. Der Park schließt plötzlich ganz früh. Die Abende sind auf einmal wieder dunkel. Viel verändert sich. Und auch bei mir: Meine Masterarbeit habe ich vor fünf Tagen aus der Hand gegeben. Hinter mir liegt die letzte Prüfung dieser fünfeinhalb Jahre Studium. Die Tage vor der Abgabe waren zwar konzentriert, aber nicht stressig. Es hat sich ausgezahlt, früh angefangen zu haben, schon lang vor der vorgegebenen Bearbeitungszeit. Nur so hat es funktioniert, gleichzeitig zur der Abschlussarbeit jobben zu können, Paris zu genießen, Wochenenden mit F. zu verbringen, zwischendurch mal eine Woche wegzufahren. Auf diese Art ist die Arbeit kein Crashkurs geworden, sondern ein monatelanger lehrreicher Weg: Manchmal mühsam, manchmal begeisternd, in jedem Fall impulsgebend (wer einen Blick auf die Thematik werfen möchte, der klicke hier).

Nun? Langsam räume ich mich innerlich und äußerlich auf. Am Wochenende habe ich kiloweise Papier, Kopien und Mitschriften aus meinen Studienjahren sortiert und aussortiert. Die Bücher stehen wieder in den Bibliotheken. Der Laptop bleibt (wann gab es das das letzte Mal?!) tageweise ausgeschaltet. Langsam blättert diese nun "alte" Zeit von mir ab. Ich bin auch ein wenig wehmütig. Möchte noch weiter lernen, erfahren, probieren.

Die Woche beginnt ganz hell und golden, schöne Ouverture für einen neuen Abschnitt. Ich nehme sie mir zum Spazieren, für diese und jene Ausstellung, zum Ausatmen und zum Lesen.
Die Franzosen freuen sich über ihren literarischen Nobelpreisträger Patrick Modiano und ich freue mich über seinen Roman in meiner Tasche: Dans le café de la jeunesse perdue / Im Café der verlorenen Jugend. Sich mit Geschichten Anderer zu füllen, tut gerade gut. Wie spielt das Leben, wie verlaufen die Wege, was verändert die Menschen? Auch Lieder erzählen Geschichten, ihr Klang macht leicht, wie dieser.   




[Immer immer wieder im Jardin du Luxembourg]




« Der Herbst ist für mich nie eine traurige Jahreszeit gewesen. Der Blätterfall und die kürzer werdenden Tage haben mir nie das Gefühl gegeben, dass etwas zu Ende geht, vielmehr dass etwas Zukünftiges zu erwarten ist. Die Luft ist elektrisch aufgeladen in Paris, an Oktoberabenden, wenn die Nacht hereinbricht. Selbst wenn es regnet. Ich bin nicht trübsinnig zu jener Stunde, noch habe ich das Gefühl, die Zeit laufe davon. Mir scheint, dass alles möglich ist. Das Jahr beginnt im Oktober. »

– Passage (frei übersetzt) aus Patrick Modiano: Dans le café de la jeunesse perdue

Sodenn, ein neues Jahr beginnt!

Donnerstag, 16. Oktober 2014

OKTOBERMOMENTE (AUF & AB)



Eine verdichtete Zeit ist dies, undzwar weniger im poetischen Sinne, als hinsichtlich ihrer Dichte an Herausforderungen, die mir mein Weg gerade stellt. Nächste Woche verabschiede ich mich von meiner Masterarbeit: ich sehe sie vor meinem inneren Auge schon ausgedruckt und gebunden, fix und fertig, wie ich selbst. Dass sich alles gelohnt hat – das eigenwillige Thema, das (manchmal mühsame) Schreiben in der Fremdsprache, die sieben Monate Arbeit – glaube ich schon jetzt. An jeder Seite, die ich gelesen, die ich getippt habe, habe ich gelernt. Und es geht mir darum, wieder eine große Hürde zu meistern, ohne Drama und Angst, sondern mit Ausdauer, Selbstmotivation, Interesse. Dass es auch erschöpfend war, gehört dazu, erleichtert danach umso mehr. 

Tatsächlich habe ich an vielen Tagen nicht mehr von Paris gesehen als die vier Wände unserer Wohnung, den Supermarkt, den Park. Die Métro, die Babysitting-Kinder. Während da draußen überall spannende kulturelle Dinge passieren, Ausstellungen kommen und gehen, Filme Premiere haben, Musik in Kabaretts gemacht wird. Aber die schöne Zeit des Flanierens kommt bald wieder. Auch die der Muße für das Schreiben, für das Spielerische. Und schaue ich zurück, waren doch auch einige besondere Momente im Alltag verborgen:
Windige Vormittage im Jardin du Luxembourg, wo es herbstlich menschenleer und zauberhaft wird.
Eine Verkleidungsparty mit Champagner und der dösige Katertag danach.
Etwas Nettes kochen.
Auf F. warten.
Hier und da ein Zeitfenster für Tagtraum und Gedichte.








Frohsein wie ein Hampelmann (gebastelt von meinem "Mittwochskind"), trotz Verdrehungen und Dünnhäutigkeit, wär doch eine gute Devise?


Sonntag, 5. Oktober 2014

INNENLEBEN

Ich tauche kurz auf, mit ein paar stillen Bildern und Worten in der Hand. Noch komme ich nicht hinterher, den Fluss der Tage und Ereignisse zu filtern. So also nur eine kleine Momentsaufnahme zum Sehen, Lesen, Hören der letzten Zeit.

lass. sieh dich nicht um. verzeih, dass liegen blieb
was liegen blieb, denn eingedenk der wirrnis
beim erwachen ließ ich den morgen wie er war 

– Nadja Küchenmeister, aus : Der Sperling



Gute, stille Lyrik fährt mir den Puls runter und weckt alle Sinne, obwohl doch nur das Auge liest.

[…] und dort am rand des blickfelds stieg und 
sank der augentrost, der sperling, in den tag. verzeih, dass
ich ihm folgte, folgte, nur immer folgte nach und nach 

 – ebd. 

Augentrost, das brauche ich, wenn mir das Alltagsunkraut aus Aufgaben und Uhrzeiten bis ans Kinn wächst.
Und auch Ohrentrost. Rauf und runter spielten sich die Weepies die letzte Woche durch mein Zimmer. Echte Herbstmusik.

Ab und an, am liebsten oft, versinke ich in Stefan Zweigs «Die Welt von Gestern», der Welt des beginnenden 20.Jahrhunderts, Zeit der künstlerischen Euphorien in Wien, Paris und London ...

«Für das erste Jahr der eroberten Freiheit hatte ich mir Paris als Geschenk versprochen. Ich […] wusste, dass wer als junger Mensch ein Jahr dort gelebt, eine unvergleichliche Glückserinnerung durch sein ganzes Leben mitträgt. Nirgends empfand man mit aufgeweckten Sinnen sein Jungsein so identisch mit der Atmosphäre wie in dieser Stadt, die sich jedem gibt und die keiner ganz ergründet.»



















Dieser erste kalte Sonntag seit langem, langem gibt schon den Geschmack von nahendem Jahresende. Es geht in großen Schritten auf die Abgabe meiner Abschlussarbeit zu ... und dorthinter wartet schon ein nächster Schritt.