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Montag, 27. Oktober 2014

ALTE ZEIT & NEUE ZEIT


Nun! Der Wind dreht sich, Jahreszeiten wechseln einander ab, die Uhr wird zurückgestellt. Unsere brasilianischen Nachbarn gehen nach einem Pariser Jahr zurück in ihr Land. F. tritt eine neue Arbeit an. Der Park schließt plötzlich ganz früh. Die Abende sind auf einmal wieder dunkel. Viel verändert sich. Und auch bei mir: Meine Masterarbeit habe ich vor fünf Tagen aus der Hand gegeben. Hinter mir liegt die letzte Prüfung dieser fünfeinhalb Jahre Studium. Die Tage vor der Abgabe waren zwar konzentriert, aber nicht stressig. Es hat sich ausgezahlt, früh angefangen zu haben, schon lang vor der vorgegebenen Bearbeitungszeit. Nur so hat es funktioniert, gleichzeitig zur der Abschlussarbeit jobben zu können, Paris zu genießen, Wochenenden mit F. zu verbringen, zwischendurch mal eine Woche wegzufahren. Auf diese Art ist die Arbeit kein Crashkurs geworden, sondern ein monatelanger lehrreicher Weg: Manchmal mühsam, manchmal begeisternd, in jedem Fall impulsgebend (wer einen Blick auf die Thematik werfen möchte, der klicke hier).

Nun? Langsam räume ich mich innerlich und äußerlich auf. Am Wochenende habe ich kiloweise Papier, Kopien und Mitschriften aus meinen Studienjahren sortiert und aussortiert. Die Bücher stehen wieder in den Bibliotheken. Der Laptop bleibt (wann gab es das das letzte Mal?!) tageweise ausgeschaltet. Langsam blättert diese nun "alte" Zeit von mir ab. Ich bin auch ein wenig wehmütig. Möchte noch weiter lernen, erfahren, probieren.

Die Woche beginnt ganz hell und golden, schöne Ouverture für einen neuen Abschnitt. Ich nehme sie mir zum Spazieren, für diese und jene Ausstellung, zum Ausatmen und zum Lesen.
Die Franzosen freuen sich über ihren literarischen Nobelpreisträger Patrick Modiano und ich freue mich über seinen Roman in meiner Tasche: Dans le café de la jeunesse perdue / Im Café der verlorenen Jugend. Sich mit Geschichten Anderer zu füllen, tut gerade gut. Wie spielt das Leben, wie verlaufen die Wege, was verändert die Menschen? Auch Lieder erzählen Geschichten, ihr Klang macht leicht, wie dieser.   




[Immer immer wieder im Jardin du Luxembourg]




« Der Herbst ist für mich nie eine traurige Jahreszeit gewesen. Der Blätterfall und die kürzer werdenden Tage haben mir nie das Gefühl gegeben, dass etwas zu Ende geht, vielmehr dass etwas Zukünftiges zu erwarten ist. Die Luft ist elektrisch aufgeladen in Paris, an Oktoberabenden, wenn die Nacht hereinbricht. Selbst wenn es regnet. Ich bin nicht trübsinnig zu jener Stunde, noch habe ich das Gefühl, die Zeit laufe davon. Mir scheint, dass alles möglich ist. Das Jahr beginnt im Oktober. »

– Passage (frei übersetzt) aus Patrick Modiano: Dans le café de la jeunesse perdue

Sodenn, ein neues Jahr beginnt!

Donnerstag, 16. Oktober 2014

OKTOBERMOMENTE (AUF & AB)



Eine verdichtete Zeit ist dies, undzwar weniger im poetischen Sinne, als hinsichtlich ihrer Dichte an Herausforderungen, die mir mein Weg gerade stellt. Nächste Woche verabschiede ich mich von meiner Masterarbeit: ich sehe sie vor meinem inneren Auge schon ausgedruckt und gebunden, fix und fertig, wie ich selbst. Dass sich alles gelohnt hat – das eigenwillige Thema, das (manchmal mühsame) Schreiben in der Fremdsprache, die sieben Monate Arbeit – glaube ich schon jetzt. An jeder Seite, die ich gelesen, die ich getippt habe, habe ich gelernt. Und es geht mir darum, wieder eine große Hürde zu meistern, ohne Drama und Angst, sondern mit Ausdauer, Selbstmotivation, Interesse. Dass es auch erschöpfend war, gehört dazu, erleichtert danach umso mehr. 

Tatsächlich habe ich an vielen Tagen nicht mehr von Paris gesehen als die vier Wände unserer Wohnung, den Supermarkt, den Park. Die Métro, die Babysitting-Kinder. Während da draußen überall spannende kulturelle Dinge passieren, Ausstellungen kommen und gehen, Filme Premiere haben, Musik in Kabaretts gemacht wird. Aber die schöne Zeit des Flanierens kommt bald wieder. Auch die der Muße für das Schreiben, für das Spielerische. Und schaue ich zurück, waren doch auch einige besondere Momente im Alltag verborgen:
Windige Vormittage im Jardin du Luxembourg, wo es herbstlich menschenleer und zauberhaft wird.
Eine Verkleidungsparty mit Champagner und der dösige Katertag danach.
Etwas Nettes kochen.
Auf F. warten.
Hier und da ein Zeitfenster für Tagtraum und Gedichte.








Frohsein wie ein Hampelmann (gebastelt von meinem "Mittwochskind"), trotz Verdrehungen und Dünnhäutigkeit, wär doch eine gute Devise?


Sonntag, 5. Oktober 2014

INNENLEBEN

Ich tauche kurz auf, mit ein paar stillen Bildern und Worten in der Hand. Noch komme ich nicht hinterher, den Fluss der Tage und Ereignisse zu filtern. So also nur eine kleine Momentsaufnahme zum Sehen, Lesen, Hören der letzten Zeit.

lass. sieh dich nicht um. verzeih, dass liegen blieb
was liegen blieb, denn eingedenk der wirrnis
beim erwachen ließ ich den morgen wie er war 

– Nadja Küchenmeister, aus : Der Sperling



Gute, stille Lyrik fährt mir den Puls runter und weckt alle Sinne, obwohl doch nur das Auge liest.

[…] und dort am rand des blickfelds stieg und 
sank der augentrost, der sperling, in den tag. verzeih, dass
ich ihm folgte, folgte, nur immer folgte nach und nach 

 – ebd. 

Augentrost, das brauche ich, wenn mir das Alltagsunkraut aus Aufgaben und Uhrzeiten bis ans Kinn wächst.
Und auch Ohrentrost. Rauf und runter spielten sich die Weepies die letzte Woche durch mein Zimmer. Echte Herbstmusik.

Ab und an, am liebsten oft, versinke ich in Stefan Zweigs «Die Welt von Gestern», der Welt des beginnenden 20.Jahrhunderts, Zeit der künstlerischen Euphorien in Wien, Paris und London ...

«Für das erste Jahr der eroberten Freiheit hatte ich mir Paris als Geschenk versprochen. Ich […] wusste, dass wer als junger Mensch ein Jahr dort gelebt, eine unvergleichliche Glückserinnerung durch sein ganzes Leben mitträgt. Nirgends empfand man mit aufgeweckten Sinnen sein Jungsein so identisch mit der Atmosphäre wie in dieser Stadt, die sich jedem gibt und die keiner ganz ergründet.»



















Dieser erste kalte Sonntag seit langem, langem gibt schon den Geschmack von nahendem Jahresende. Es geht in großen Schritten auf die Abgabe meiner Abschlussarbeit zu ... und dorthinter wartet schon ein nächster Schritt.