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Samstag, 14. Februar 2015

STERNSTUNDEN

Abends komme ich von der Arbeit zurück in mein Zimmer, überhitzt, erschöpft und mit wirbelnden Sinnen, und es tut gut, einen ruhigen Unterschlupf zum Rückzug zu finden.
Denn es ist ja nicht so, als verändere man sich in den Grundfesten, nur weil man an das andere Ende der Welt gereist ist. Auch hier bleibt neben all der nach außen gerichteten Lebenslust mein Bedürfnis nach regelmäßiger Stille bestehen. Erst in den nach innen gewandten Momenten kann ich das Erlebte sinken lassen. Erst dann wirken Gespräche nach, ebbt der Lärm ab. Ich muss meine Sinne auskühlen lassen.



Ich schreibe auf dem Bett sitzend und die Wörter im Kopf und auf dem Blatt geben einander Echo. Ich schreibe so, wie es in den Bäumen rauscht, seicht, gleichförmig, unbedeutend, bis sich etwas kristalliert – ein klarer Gedanke, eine Idee. Und auch nicht immer.

Es gibt auch Sternstunden im Alleinsein. Es ist Abend, aber noch hell, und ich streife mit dem Fahrrad durch mein Viertel Providencia, mit der Stirn zu den Anden und durch die Wärme, vorbei am ungeduldigen Feierabendverkehr. Nichts kommt mir in den Sinn, außer ein paar Lieder, die ich mit kurzem Atem singe, solang niemand mir entgegenkommt. Das Licht nimmt derweil ab, Smog hängt in der Luft. Ich trete in die Pedale und denke nichts, nichts ...

... bis da plötzlich Worte aus mir auftauchen, die hinter die Dinge dringen, die einen Ausdruck für eben diesen Moment finden. atemleinen zwischen den pedalen ... lose in der chile-schwirren hitze ... der abend schwillt aus den anden ... die skyline löst sich an den enden auf ...

Seit Wochen war die Muse von mir abgewandt. Alles Lyrische verhangen, überstülpt von der Konzentration auf meine Reise. Ich hatte keine Zeit, das Erlebte in mir aufzudröseln und als meine Schöpfung wieder zusammenzufügen. 

Die Worte, die Ideen kommen eben erst, wenn sich innerlich alles entspannt und leert. Und sie kommen, wenn überhaupt, nur im Alleinsein.


Schon morgen früh werde ich wieder ganz da sein für die Welt. Mich unterhalten, mich erkundigen. Etwas unbeholfen Spanisch reden. Beistimmen, lachen, fragen. Eben ganz nach außen gewandt. Und die Kraft dazu schöpfe ich aus meinen Sternstunden im Alleinsein.


Dienstag, 10. Februar 2015

GOLDENES WOCHENENDE IN VIÑA DEL MAR

Es ist einer dieser Montage, an denen man nach einem erlebnisreichen Wochenende müde, aber glücklich an der Arbeit sitzt (in meinem Fall als fleißige Praktikantin) und sich kaum auf den Bildschirm vor einem konzentrieren kann, so viel anderes schwirrt noch im Kopf: Da ist noch das Wochenende, verbracht an der Pazifikküste, zwei Stunden von Santiago entfernt. Da sind die Stunden im Auto auf der sonnenverglühten Straße gen Meer, Stunden am Restauranttisch, am Strand, im Casino von Viiña del Mar. Da sinddie vertanzten Stunden zu Latino-Musik, der kühle Wind um die Beine, der Geschmack von Pisco - chilenischem Traubenschnaps -, und frischem Fisch. Möwen und Pelikane im Abendrot, Urlaubsstimmung in den Straßen eines Badeortes, wie es ihn auch in Spanien oder Frankreich geben könnte. 



Es ist wunderlich zu denken, dass ich vor gar nicht langer Zeit mutterseelenallein in Chile ankam und nun mit neuen Freunden eine gute Zeit verbringen darf. Dass sich Begegnungen und gemeinsame Wege ergeben, zufällig oder als hätte es nicht anders sein können, jedenfalls ein Glück. Es hilft mir, langsam in diesen Abschnitt hineinzuwachsen. 
Nicht mehr eben erst angekommen und noch lange nicht wieder fort - und mich wohl fühlend bei dem Gedanken. 




 Das Unterwegssein sauge ich in mich auf. Ich erinnere mich daran, wie ich mich an manchem Alltagsmoment im vorigen Jahr nach genau diesem freien Flattern durch Landschaften und Städte, bei Lachen, Musik oder Stille, sei es in der Ferne, in der Heimat oder einfach außerhalb von Paris, gesehnt habe. Ich folge vom Autofenster aus den verschwimmenden Konturen der Anden. Diesem chilenischen Sommer bin ich hinterhergeflogen und nun lasse ich ihn nicht mehr los, bis es hier im April Herbst wird. 


Der Sonnenbrand glüht noch weiter auf meiner Haut und der Rucksack steht noch unausgepackt in der Ecke. Sogleich ist auch der Montag schon wieder vorbei. Und über die Eindrücke von Viña del Mar legt sich allmählich wieder der normale Gang der Woche ...


Dienstag, 3. Februar 2015

SICH VERLIEREN IN VALPARAISO

Nachdem ich vor ein paar Tagen das zirkushafte Treiben am Hafen von Valparaiso beschrieben habe, nehme ich euch nun mit auf die Hügel (cerros), die sich, bedeckt von einem bunten Dächermeer, über die unteren Viertel der Stadt erheben.
Mit knatternden, hundertjahrealten Zahnradbahnen (ascensores) gelangt man dort hinauf. Bevor ich allerdings den richtigen Aufzug gefunden habe, schlage ich prompt einen bald dubios erscheinenden, ansteigenden Weg ein. Ich merke erst gar nicht, dass niemand sonst hier unterwegs ist. Nur Straßenhunde die in stinkenden Bergen Müll wühlen. Die Häuser wirken heruntergekommen. Ich überlege schon kehrt zu machen, als mir ein junger Mann entgegen kommt und mir bedeutet, ich solle besser nicht weiter hinaufsteigen. Es bestehe Gefahr, ausgeraubt zu werden. Er begleitet mich wieder hinunter und zeigt mir den Eingang zum Aufzug, wo einige andere Besucher Schlange stehen. Ich bin ihm dankbar. Es war das erste Mal, dass ich mich in Chile kurz unsicher gefühlt habe. An manchen Orten sollte ich mich tatsächlich an die Pfade halten, die auch von anderen Touristen gegangen werden.

Bei meinem Spaziergang auf den cerros werde ich mit malerischen Ausblicken auf Hafen und Meer belohnt. Ich habe kein Ziel, wandere nur in der Sonne durch die ansteigenden und abfallenden Gassen, tauche meinen Blick in die satten Farben der Fassaden. Alles wirkt ziemlich ruhig und mein Geist ist angenehm schläfrig. Irgendwann finde ich ein nettes Café, wo ich das Wlan nutze, um kaffeetrinkend mit meinem mir fehlenden F zu schreiben. Wann immer ich kann, schicke ich ihm Bilder und Worte um das, was ich hier erlebe. Wie gern würde ich die ganze Erfahrung hier mit ihm teilen.




Am frühen Abend sitze ich irgendwann wieder im Bus gen Santiago. Anderthalb Stunden lang tue ich beinah nichts als mich in Musik aus meinen Kopfhörern zu versinken und die Gedanken ganz weit wandern zu lassen. Ich merke, dass ich mir solche Stunden, die keinen Zweck und Ziel haben, sondern nur Sinnesfluss und Dahintreiben sind, im Alltag in Paris zu selten schenke. Leerlaufzeit. Zeit, in der nichts passiert und doch unbemerkt Gedanken sinken können und andere hochsteigen, die für "Zweckzeiten"zu zaghaft sind. Einfach Songs (wie diesen oder diesen) die in die Berglandschaft da draußen ziehen ...



La tarde esta muriendo
como un hogar humilde que se apaga.

Alla, sobre los montes,
quedan algunas brasas.
[…]
Lloras? ... Entre los alamos de oro,
lejos, la sombra del amor te aguarda. 


Der Abend stirbt dahin
wie ein Herd, der bescheiden verlöscht.

Dort oben über den Bergen,
sind noch einige Gluten zu sehen.
[…]
Weinst du? … Zwischen den Pappeln aus Gold,
in der Ferne, wartet der Schatten der Liebe auf dich.

– Antonio Machado (Campo / Feld)


Und ich denke daran, was hinter mir liegt, was vor mir liegt. Was mich hier in der Ferne berührt, begeistert, beirrt. Was ich lernen und mitnehmen will. Was mir fehlt. Auch daran, wie schnell die Zeit vergeht. Dass deshalb wohl nichts besser ist, als den gegenwärtigen Moment ganz zu erleben und glücklich zu sein.